Wywiad z dyrektorką warszawskiego Przedstawicielstwa Irene Hahn-Fuhr dla niemieckiej publiczności na temat działań rządu PiS oraz stanu społeczeństwa obywatelskiego i krajobrazu partyjnego w Polsce.
Weiterdenken, der sächsische Teil des Verbundes der Heinrich-Böll-Stiftungen, hat über viele Jahre immer wieder deutsch-polnische Kooperationen in der politischen Bildung unterstützt. In Polen haben sich in den letzten Jahren viele Veränderungen vollzogen, besonders in den Fokus rücken die derzeitige Politik der nationalkonservativen Regierungspartei PiS sowie die Situation der Zivilgesellschaft und der Parteienlandschaft. Im folgenden Gespräch gibt Irene Hahn-Fuhr, die seit Anfang 2014 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau leitet, Einblicke in ihre politischen Analysen und in die Arbeit der Stiftung vor Ort.
Weiterdenken: Die nationalkonservative „Prawo i Sprawiedliwość“ -PiS (Recht und Gerechtigkeit) stellt nicht mehr nur den Präsidenten, sondern hat auch die absolute Mehrheit im Parlament. Wie schätzt Du die derzeitige politische Situation und zukünftige Orientierung Polens ein?
Irene Hahn-Fuhr: Jarosław Kaczyński, der Parteivorsitzende der PiS, hat ganz klare Vorstellungen, wo er den Staat hinführen will, welche Staatsräson er anstrebt. Dadurch, dass die PiS die absolute Mehrheit hat und der derzeitige Präsident Duda ihm zwar nicht formal, dafür aber mental, kulturell untergeordnet ist, kriegt er das alles sehr schnell durch. Ebenso wurden viele wichtige öffentliche Stellen mit ‚gleichgesinnten‘ Personen neu besetzt. Die Oppositionsparteien sind relativ schwach aufgestellt. Die PO, die vorher regiert hat, ist immer noch mit der Wahlniederlage und interner Führungsstrukturen beschäftig und liegt in Umfragen bei 15-18%. Für bestimmte Kreise ist der einzige Hoffnungsträger im Sejm die neue Partei Nowoczesna, geführt von Ryszard Petru.
Nowoczesna heißt „Moderne“ auf Deutsch und ist von der inhaltlichen Ausrichtung ein bisschen wie die FDP bei uns zu ihren besten Zeiten. Allerdings sammelt sie erst erste Parlamentserfahrung und ist mit dem Aufbau der eigenen Strukturen beschäftigt. Sie können keine Gesetzesvorhaben verhindern, aber sie sind diejenigen, die Diskussionen in den Medien und im Sejm initiieren und dagegen halten. Da sie die Wahlkampagne als ‚bessere Version‘ der PO geführt hatten, ist jetzt der gemeinsame Alltag in der Opposition miteinander auch nicht einfach. Als bürgerliche Bewegung gibt es KOD (Komitet Obrony Demokracji).
Es ist ein Komitee, das sich zur Bewahrung der demokratisch-bürgerlichen Rechte gegründet hat, KOD entstand aus den seit den Parlamentswahlen letzten Oktober regelmäßig organisierten Demonstrationen und ist ein Zusammenschluss von unterschiedlichen Gruppen aus der Zivilgesellschaft, Parteien, und NGOs – die „Koalition Freiheit, Gleichheit, Demokratie“. Wir haben hier seit letzten Oktober jeden Samstag große Demonstrationen, das ist schon sehr beeindruckend, was sich da mobilisieren lässt. Gleichzeitig kann dieser Widerstand bis jetzt faktisch nicht viel verhindern. Das macht es unheimlich schwierig vorauszusehen, wohin sich das entwickeln wird. Die PiS hält sich in den Umfragen, sie liegen weiterhin bei über 30%.
Trotz der Entmachtung des Verfassungstribunals und des Umbaus der öffentlich-rechtlichen Medien in „Staatsmedien“ punkten sie wirtschaftspolitisch und sozialpolitisch bei vielen Bürgern weiterhin. Mindestlohn, Absenkung des Rentenalters, Reform des Gesundheitswesens, Durchsetzung der Elternzeit, zusätzliches Kindergeld - das haben sie fest angekündigt, das setzen sie auch um, und das will die Mehrheit der Gesellschaft. Die Entmachtung des Verfassungstribunals juckt den durchschnittlichen Bürger nicht unbedingt. Das interessiert die politischen, intellektuellen Eliten, die regen sich sehr auf, sie sind aber auch wie in allen Ländern die Minderheit. Steigender Wohlstand steht mehr im Fokus der Bevölkerung. Aber momentan ist die noch positive ökonomische Entwicklung eigentlich der Erfolg der Vorgängerregierung.
Die jetzige Regierung ist noch nicht mal ein Jahr im Amt. Viele Aktionen schrecken schon ausländische Investoren ab: dass sie alles renationalisieren und zusätzliche Schranken für ausländische Investitionen einrichten wollen. Viele Bereiche sollen zurückgekauft werden, die im Zuge von Privatisierung ans Ausland gegangen sind. Diese ganzen Schlagworte der PiS: „Wir kaufen unsere Supermärkte zurück!“, „Wir kaufen unsere Banken zurück!“, „Wir kaufen was auch immer zurück!“, das gefällt vielen - kann aber auch negative Konsequenzen haben. Der Zloty ist gefallen, seit die PiS an der Macht ist, und Auslandsinvestoren ziehen sich zurück. Das interessiert aber bisher leider nur Fachexperten.
Diese ökonomische „Renationalisierung“ ist auch eine Parallele zur Brexit-Diskussion. Wird der Brexit in dem Zusammenhang auch in Polen diskutiert?
Der Brexit hat hier in Polen viele sehr erschreckt. Es leben über eine Million Polen in England, und das, was jetzt hier die Gemüter umtreibt, ist, welche Rechtssicherheit oder Rechtssituation sie dann dort in England haben. Dürfen sie bleiben? Auf welcher rechtlichen Grundlage? Das wird hoch und runter debattiert. Diese Parallele zur ökonomischen Dimension wird vielleicht in bestimmten Fachkreisen diskutiert, aber nicht im großen Stil und auch kaum in den öffentlichen Medien. Eine größere Rolle spielt auch die sicherheitspolitische Komponente. Die Polen beanspruchen ja hauptsächlich das angelsächsische Sicherheitsnetz für sich. Der Hauptsicherheitsgarant für ihre Sicherheit sind immer noch die USA, und danach kommt sozusagen die NATO, aber auch wiederum nur wegen der USA.
Zu diesem Dreieck kommt Großbritannien dazu, weil es im 2. Weltkrieg eine wesentliche Rolle bei der Befreiung Polens gespielt hat. Deswegen ist es für die Polen eher eine Bedrohung dieser Sicherheitslage, wenn England gefühlt aus dem Kreis der europäischen Staaten „raus“ ist. Polen strebt einen Zusammenschluss von starken Nationalstaaten an, von souveränen Nationalstaaten. Das ist das Bild einer EU, das die PiS hat. Sie wollen eine starke EU, die aber ihre Stärke aus der Grundlage starker souveräner Staaten zieht. Das ist ja auch das Modell, das England befürwortet hätte. Das ist genau der Kontrapunkt zu dem Integrationsmodell, wie Deutschland und Frankreich die EU gerne sehen würden.
Welche Rolle spielt das Agieren der EU in Bezug auf die umstrittene Justizreform und das neue Mediengesetz in Polen?
Die Wächterposition der EU wird viel diskutiert. Vor allem von den Oppositionsparteien wird das aufgegriffen. Es ist eine gute Unterstützung für die demonstrierenden Bürger, für die KOD-Bewegung, für die gesamte Oppositionsbewegung. Die PiS selber lässt sich davon momentan wenig beeindrucken. Die ziehen ihren Plan durch und lassen sich von nichts ablenken. Wir hatten gerade den NATO-Gipfel in Warschau Anfang Juli und gleich darauf folgend den Papstbesuch im Rahmen des katholischen Weltjugendtages in Krakau. Hier war klar, dass Polen sich zunächst rein positiv darstellen möchte und keine kontroversen Schlagzeilen diese globalen Veranstaltungen überschatten sollten. Einen Tag nachdem der Papst abgereist war, lag die neue Gesetzesvorlage für die Ordnung des Verfassungstribunals dem Parlament vor, gleich anschließend war sie bereits vom Präsidenten unterzeichnet.
Welche Veränderungen in der Kultur- und Medienlandschaft lassen sich jetzt schon erkennen?
Ein Beispiel ist der Streit um das Konzept des neuen Museums zum 2. Weltkrieg, das in Danzig entsteht. Das Konzept steht jetzt schon seit Jahren, und bis zum 20. Dezember 2016 sollte die Dauerausstellung fertiggestellt werden. Und nun versucht der Kultusminister zu intervenieren, indem er wieder neue Gutachten zum Konzept des Museums erstellen ließ. Diese Gutachten wurden aber von Personen erstellt, die schon seit Jahren das Konzept kritisiert hatten und wo voraussehbar war, wie diese Gutachten aussehen werden. Das sind enorme Eingriffe. Die neuste Entwicklung ist nun noch, dass, um die Leitung des Museums vorzeitig entlassen zu können, das Museum des 2.Weltkrieges mit dem Westerplatte-Museum zusammengeschlossen wurde.
Der neue Direktor Prof. Zbigniew Wawer leitet zur Zeit das Museum der polnischen Armee. Die Situation in den Medien ist sehr erschreckend. Die Öffentlich-Rechtlichen werden systematisch umgebaut zu Nationalmedien (media narodowe), quasi zu Staatsmedien. Ich finde es bedenklich zu erleben, was da für eine Propagandamaschine läuft. Alles, was die Regierung macht, wird positiv dargestellt und die anderen, Demonstrierende und Oppositionsparteien, werden so dargestellt, als ob sie den Staat zerstören wollten. Es werden auch immer Live-Interviews auf diesen Demonstrationen geführt und dann so dargestellt, als wären es Halb-Verrückte, die da auf der Straße stehen.
Aber das, was mir die größten Sorgen bereitet, ist der Kulturkampf, der hier tobt. Es ist wirklich eine komplett gespaltene Gesellschaft. Es gibt zwei komplett parallele Realitäten, die aufeinander stoßen. Man hat seine eigene politische Realität und empfindet den anderen als nicht diskussionsfähig. Es fehlen Ansätze, wie sich eine neue Streitkultur, eine neue politische demokratische Debattenkultur entwickeln kann – so, dass Andersdenkende auch miteinander konstruktiv und produktiv Streit austragen können. Wie man das entwickeln kann ist das, was mich am meisten umtreibt.
Wie verändert diese Herausforderung Euer Arbeiten als Heinrich-Böll-Stiftung in Polen?
Unsere neue Rolle müssen wir jetzt weiter definieren, es hat sich tatsächlich einiges verändert. Wir Bölls als Institution spüren zunächst keine direkten Konsequenzen. Auch die PiS-Regierung redet mit uns, das kommt immer auf das Thema an. Zum Beispiel gibt es bei der Energiepolitik trotz aller Differenzen auch Anknüpfungspunkte. Die PiS hat vor allem viele Anhänger im ländlichen Raum, die auch gegen Schiefergasbohrungen opponierten oder großes Interesse an erneuerbaren Energien und Prosumer-Konzepten zeigen, vor allem wegen der erwarteten nachhaltigen Autonomieförderung.
Das war mit der PO-Vorgängerregierung keineswegs einfacher, die ausschließlich auf Kohle setzte und in die Zukunft schauend in nukleare Energie und Schiefergas investieren wollte und wenig Interesse an unseren Angeboten aufbrachte. Außenund sicherheitspolitisch gibt es auch Berührungspunkte. Gerade wenn es um die Russland- und Ukrainepolitik geht, sind wir auf jeden Fall dialogfähig und mit unserer Expertise gefragt. Wir arbeiten weiterhin mit unseren Partnern, die ja hauptsächlich aus dem zivilgesellschaftlichen und NGO-Bereich kommen. Wir fördern lokale Projekte, wir entwickeln mit Partnern zusammen Konzepte, bieten Diskussionsräume. Wir sind vor allem auch vermittelnd tätig, wir stärken Netzwerke, wir organisieren Studienreisen, wir holen Expertise aus dem Ausland hierher oder bringen hiesige ins Ausland.
Eins der Probleme ist aber, dass viele Gruppen jetzt zunehmend in Finanzierungsschwierigkeiten kommen und Überlebenskämpfe ausfechten, weil die staatliche Förderung der Zivilgesellschaft zurückgefahren wird. Wir können aber keine direkte Institutionenförderung für NGOs betreiben. D.h. wir können keine Gehälter zahlen oder die Infrastruktur im Büro, wir arbeiten projektbasiert. Wir versuchen eine basale Unterstützung zu organisieren bspw. durch Workshops „Wie kommt man an EU-Fördermittel heran?“, „Wie von der Privatwirtschaft Unterstützung für unterschiedliche zivilgesellschaftliche Gruppen bekommen?“ etc. Aber das sind alles noch Anfänge. Es ist noch nicht die Situation, dass irgendjemand Angst hätte sich zu engagieren. Deswegen kann Polen in diesem Bezug noch bei weitem nicht mit der Türkei oder Russland verglichen werden.
Keiner hat hier Bedenken, bestimmte Themen anzusprechen. Es gibt keine politischen Gefangenen. Davon sind wir sehr weit entfernt. In dem Sinne ist die Zivilgesellschaft bisher nicht als solche unmittelbar unter Druck, wohl aber erzeugt der Disput um das Verfassungsgericht Rechtsunsicherheit, und eben die finanzielle Situation. Wenn sich Gruppen durch ausländisches Kapital finanzieren lassen, können sie sich mit Fragen wie „In welchem Interesse arbeitet ihr?“ konfrontiert sehen. Für uns als Heinrich-Böll-Stiftung stellt sich die Aufgabe, weiter ganz klar auf der Seite der Zivilbevölkerung zu stehen, aber eben auch nicht alle Gesprächsfäden zu Regierung abreißen zu lassen. Es ist wichtig, immer authentisch zu bleiben und für alle offen zu argumentieren, warum man was macht. Solange man es nachvollziehbar erklären kann, findet es auch meistens Zustimmung.
Wie siehst Du die Lage und Arbeit der Oppositionsparteien und oppositionellen Strukturen?
Das Komitet Obrony Demokracji (KOD) ist wichtig, aber natürlich keine Partei. Sie sind darauf konzentriert, erst einmal Widerstand zu leisten und anzuprangern. Sie sind schon oft gefragt wurden, ob sie eine Partei gründen wollen und haben das bisher immer verneint. Das wäre wahrscheinlich schwierig, weil sie eine sehr heterogene Gemeinschaft sind. Aber das waren die Grünen früher auch, das muss per se nicht dagegen sprechen. Die “Partia Zieloni“, die Grüne Partei, hat es in Polen noch relativ schwer. Als Grünen-nahe Stiftung versuchen wir, das Grüne Umfeld zu stärken und bieten Workshops, Akademien etc. an. Sie müssten sich als Partei aber wohl thematisch noch breiter aufstellen, bisher agieren sie nach außen wahrnehmbar hauptsächlich umweltpolitisch.
Bei der „Platforma Obywatelska“ ist bisher wenig inhaltliche Strategie in Sicht, interne Machtkämpfe überschatten konkrete Konzepte, die über ein „Alles was wir vorher gemacht haben, war gut, alles was jetzt läuft, ist schlecht.“ politisch hinaus gehen. Die „Nowoczesna“ stellt sich da für einige Wähler als kleiner Hoffnungsschimmer dar. Sie sind jedoch bisher sehr konzentriert auf ökonomische und liberale Themen, was auch noch nicht allumfassend ist. Zum Beispiel sind hier die sehr wichtigen sozialpolitischen Themen noch unterrepräsentiert.
Darauf gibt es bei der Opposition noch zu wenig Antworten, außer dass postuliert wird, dass das zusätzliche Kindergeld oder die Herabsetzung des Rentenalters sich nicht finanzieren lassen. Damit wird allein die ökonomische Dimension aufgemacht, warum das nicht funktionieren kann. Unter anderem deswegen hat die PiS eben auch so starken Zuspruch: weil die anderen Parteien es nicht vermögen, konkrete Alternativen – vor allem sozialpolitisch – zu ihrem Programm zu bieten. Das ist das eigentlich Besorgniserregende.
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Dieses Interview erschien zuerst in der Zeitung einmischungen 2016/2017 von weiterdenken, der sächsischen Heinrich-Böll-Stiftung.